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Channel: Marianne Falck
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Diätprogramm aus Genf

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Zucker – Schon eine Dose Cola am Tag wäre für einen Erwachsenen zu viel

München – Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sagt dem übermäßigen Konsum von Zucker den Kampf an. Nach einer geplanten Empfehlung soll der Süßmacher idealerweise maximal fünf Prozent der täglichen Kalorien liefern. Das sind etwa sechs Teelöffel Zucker am Tag – nur halb so viel wie nach den bisherigen Vorgaben. Monatelang war in Branchenkreisen über eine Reduzierung spekuliert worden.

Konkret spricht die WHO drei Empfehlungen aus:
Erstens: In jedem Lebensalter sollten Verbraucher ihren Konsum von zugesetztem Zucker nach Möglichkeit reduzieren. Zweitens: Kinder und Erwachsene sollten über freie Zucker maximal zehn Prozent der Gesamtenergie aufnehmen. Dies ist eine sogenannte dringende Empfehlung, die von der WHO bereits in den aktuell geltenden Richtlinien von 2002 festgesetzt wurde. Drittens: Neu im Richtlinien-Entwurf ist die „bedingte Empfehlung“, nach der die Experten eine weitere Reduzierung der täglichen Zuckeraufnahme auf maximal fünf Prozent anraten.

„Es gibt einen gesundheitlichen Nutzen, wenn man den Zuckerkonsum auf unter fünf Prozent einschränkt. Ganz klar zeigt sich das bei Karies und Fettsucht. Aufgrund der Menge vorhandener Belege ziehen wir es derzeit vor, die fünf Prozent als ‚zusätzliche’ Empfehlung zu bezeichnen. Fünf Prozent sind ideal, zehn Prozent realistisch“, erklärt Francesco Branca, Direktor der Abteilung für Nahrung, Gesundheit und Entwicklung der WHO. Dieser Fünf-Prozent-Wert schließt jede Art von Zucker ein, die Nahrungsmitteln zugegeben wird, sowie Honig, Sirup und die Süße in Fruchtsaft. Der in Obst und Gemüse enthaltene Zucker wird dagegen nicht angerechnet. Ein erheblicher Teil des heute konsumierten Zuckers ist in verarbeiteten Nahrungsmitteln enthalten, die normalerweise gar nicht als süß gelten.

Was bedeutet die Empfehlung für die Verbraucher? Statt wie bisher 50 Gramm sollten sie nun pro Tag maximal 25 Gramm Zucker konsumieren. Bei süßen Getränken und Lebensmitteln ist dieser Wert sehr schnell erreicht. Denn bereits eine Dose Cola enthält mehr Zucker als die WHO als tägliche Gesamtmenge für einen Erwachsenen empfiehlt – nämlich 35 Gramm. Auch die vermeintlich gesunde Alternative, ein Glas Apfelsaft (200 Milliliter), deckt mit etwa 22 Gramm Zucker schon fast den Maximalwert. Kinder im Alter von sieben bis neun Jahren, die einen deutlich niedrigeren Gesamtenergiebedarf als Erwachsene haben, würden den Fünf-Prozent-Wert sogar noch schneller überschreiten. Nach den Empfehlungen der WHO wäre für sie bereits nach zwei Dritteln einer Dose Cola Schluss.

Cola-Dosen

Wissenschaftler, Verbraucherschützer und auch Lobby-Experten gehen davon aus, dass die Nahrungsmittel- und Getränkeindustrie die neuen Empfehlungen der WHO weltweit scharf angreifen werden. Schon 2003, als die Organisation den Konsum von zugesetztem Zucker stark einschränken wollte, blies die Lobby zum Angriff gegen die Gesundheitsexperten.

Damals schickte der amerikanische Zuckerverband einen harschen Brief. Als das nichts half, machte das US-Gesundheitsministerium Druck. Die Vereinigten Staaten drohten damit, ihr 400-Millionen-Dollar-Budget für die WHO zu kürzen. Es folgte eine monatelange Schlacht, in der die Lobby kritische Studien über zu hohen Zuckerkonsum infrage stellte und viel Geld in Imagekampagnen steckte. Die WHO ließ sich nicht beirren. Typischerweise argumentieren die Industrievertreter, dass nicht ein bestimmtes Lebensmittel problematisch ist, sondern dass in Maßen alle Nahrungsmittel und Getränke gesund sind.

Besonders die beliebten Softdrinks wie auch die aggressiv beworbenen Lebensmittel für Kinder stehen hierzulande aber immer wieder stark in der Kritik – wegen ihres hohen Zuckergehaltes. Wie die deutsche Zuckerindustrie auf die neuen Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation reagiert, ist derzeit noch offen.

Der neue Richtlinien-Entwurf wurde am Mittwoch in Genf veröffentlicht. Zuvor hatte die WHO 9000 Studien begutachtet. Nach einer Diskussion wird im Sommer mit festen Empfehlungen gerechnet. Nach Angaben des Overseas Development Institute (ODI) ist jeder dritte Erwachsene auf der Welt zu dick, in Deutschland ist es sogar jeder zweite.

Zuerst erschienen in: Süddeutsche Zeitung, 7.3.2014


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